Ziele und Wunder

Ein hilfreicher und fürs Leben bedeutsamer Unterschied, den wir in der lösungsfokussierten Aufstellungsarbeit wahrnehmen lernen, ist dass Ziele und “erwünschte Zustände” nicht dasselbe sind:
Ziele sind, was wir punktuell anstreben: eine Prüfung bestehen, einen Vortrag halten, eine schöne Wohnung finden, eine Reise machen. Diese Ziele wollen wir erreichen, sie genießen und uns daran freuen und dann weiterschreiten.  Ziele sind abgegrenzte Ereignisse, die wir anstreben und oft erreichen, manchmal auch nicht.

Wie Sie erfolgreich Ihre Ziele erreichen, lesen Sie in Harald Heinrichs Artikel EPURO© auf dieser Website!

Ziele werden oft mit erwünschten Zuständen verwechselt, mit einem guten Lebensgefühl. Das hat sich auch in unserer LErn-Aufstellung am 17. März gezeigt. Viele glauben, wenn sie nun endlich dies oder jenes Ziel erreicht hätten, dann könnten sie – endlich! – heiter, inspiriert, zuversichtlich, motiviert und beschwingt ihren Aufgaben nachgehen und gelassen in sich ruhend das Leben genießen. Der erwünschte Zustand ist die Art, wie wir uns gern fühlen möchten, in unserem Alltag.

Daseins-Freude und Schaffens-Lust

Wir hatten die Teilnehmer*innen des Aufstellungs-Abends nach ihren Glücksmomenten der vergangenen Tage gefragt. Eine Teilnehmerin war mit einem 7 Monate alten Kind unterwegs gewesen und beglückt von dem Strahlen und der tiefen Verbundenheit, die sie gespürt hat. Was macht den Zauber aus, den Kleinkinder ausstrahlen?
Eine Antwort könnte sein: sie tun, was sie tun, ganz aus sich heraus. Wenn sie zu krabbeln beginnen, dann weil sie etwas wahrnehmen, wo sie hinmöchten.
Sie wollen mehr können und arbeiten daran aus eigenem Antrieb. Früh schon wollen sie können, helfen und beitragen.
Sie haben an einem Schmetterling ihre helle Freude und an ihren Bewegungen und Tönen, sie wollen beim Kochen helfen und trösten ihre Geschwisterchen.
Sie probieren sich aus, entdecken sich, entwickeln sich, um mehr die Welt zu erkunden.
Das ist in uns Menschen so angelegt.

Don‘t try to please me!

„Versucht nicht, es mir Recht zu machen!“ soll eine Feldenkrais-Lehrerin in der ersten Stunde zu den Ausbildungs- Teilnehmer*innen gesagt haben. Das Tun aus sich selbst heraus wurde eingeladen. Warum ist es sinnvoll, erwachsenen Teilnehmer*innen, die eine Ausbildung machen, die sie selbst gewählt haben, diese Botschaft mitzugeben? Weil auf die Wahrung der Eigenmacht und Eigenmotivation in vielen Erziehungsmodellen und gesellschaftlichen Gefügen kaum Wert gelegt wird: Wenn ich beispielsweise in der Schule lerne, dass „4 Schülerinnen“ und „3 Schüler“ als „sieben Schüler“ zu bezeichnen seien, muss ich von meiner konkreten, erlebten Sinnes-Wahrnehmung absehen, um einer vorgeschriebenen Grammatik-Regel zu folgen. Ein Gebot gegen den Eigen-Sinn. [1]und [2]

Die Quälgeister

In Kontexten, wo Körper und Geist ent-zweit werden, spalten sich Teile unserer Wahrnehmungsfähigkeit und Eigenmotivation ab. Sie sitzen gefangen in der Kluft zwischen dem, was wir wahrnehmen, und dem, was wir zu glauben gelernt haben. Das tut weh!

1. „Schneller- höher –stärker!“ – der Überforderungs-Quälgeist

Er lässt uns von einem Ziel zum nächsten hetzen. Es wurde versprochen, dass dann die Belohnung kommt, der erwünschte Zustand. Der kommt aber nicht. Es war noch nicht gut genug. Kommt mensch an, muss mensch schon weiter, weiter, weiter. Das überfordert!

2. „Das schaff ich nie!“ – der Entmutigungs-Quälgeist

Er lässt uns die enorme Anstrengung spüren, die auftritt, wenn wir unsere Körperwahrnehmung abdrehen, wenn wir um Lob zu erlangen, uns selbst verleugnen. Und die Anerkennung, die wir uns wünschen, kommt dann doch nicht. Das raubt Kraft!

Was wir wollen …

Geben wir es doch zu: wir wollen uns schon bei der Arbeit vergnügen! Wir wünschen uns, was der indische Dramatiker Kalidasa beschreibt und was nur HEUTE zu haben ist:

Die Seligkeit zu wachsen, Die Freude zu handeln, Das Wahrnehmen der Schönheit,..

Und er rät:

… heute, richtig gelebt, verwandelt jedes Gestern in einen glückseligen Traum und jedes Morgen in ein Bild der Hoffnung.

Sämtliche Fragen aus der Lösungsfokussierten Arbeit helfen uns, die Quälgeister zu befreien. Die sogenannte Standardaufgabe lockt Überforderte und Entmutigte unmittelbar ins Hier und Jetzt: Was ist gut, was kann so bleiben? Wofür kannst Du dankbar sein? Es ist beglückend zu erleben, wie das Beantworten dieser Frage Menschen sichtbar verwandelt und in einen gelösteren Zustand führt. Womöglich noch eindrucksvoller gelingt das mit der sogenannten…

Wunderfrage

Die Wunderfrage ist eine von Insoo Kim Berg entwickeltes suggestives Einschwingen auf bessere, erfreulichere Möglichkeiten zu mehr Daseins-Freude und Schaffens-Lust. So unterschiedlich die Ziele bei verschiedenen Menschen auf der ganzen Welt sein mögen. Die Antworten auf die Wunderfrage lauten bei uns allen ähnlich. Mit den Worten des Dichters gesagt: wir alle wollen „die Seligkeit zu wachsen, die Freude zu handeln und das Wahrnehmen der Schönheit dieser Welt“.  Die Wunderfrage führt uns aus einem Problem-Zustand über eine Brücke aus wenigen Worten zu mehr Daseins-Freude und Schaffens-Mut: Wir erleben uns innerhalb kürzester Zeit gelöster, lebendiger und ermutigt.
Das ist ein echtes Wunder!

©Alexandra Schwendenwein, Aufstellungsarbeit Wien

[1] Elisabeth Schrattenholzer: Macht macht Sprache. Sprache schafft Wirklichkeit. Für ein Fundament ohne Fundamentalismus. LIT Verlag, Wien 2015

[2] Siehe auch Presse-Artikel Frau und Mann unter einem Hut von Elisabeth Schrattenholzer